Gemeinde unter Beobachtung – Kirchenhistoriker und Regisseur Bernhard Thiessen zu Gast beim Gemeindeabend der Köpenicker Stadtkirchengemeinde

von Ev. Kirchenkreis Berlin Süd-Ost

Aufnahmen in Köpenick zum Film "Mennoniten in der DDR" – Kirchenhistoriker und Regisseur Bernhard Thiessen zu Gast beim Gemeindeabend in Köpenick. Foto: Tanja Kasischke

Ein Film über die Mennonitengemeinde in der DDR beleuchtet auch das Wirken des Köpenicker Pfarrers Knuth Hansen (1947-2019) als Prediger und Mitarbeiter des MfS. Für die Ev. Stadtkirchengemeinde ist die Konfrontation mit Hansens Doppelrolle Anlass zur Transparenz. Zum Gemeindeabend am 19. November 2023 war der Kirchenhistoriker und Regisseur Bernhard Thiessen eingeladen.

Von Tanja Kasischke

Knuth Hansen ist ganz er selbst. Sein Ausdruck auf der Leinwand wirkt entspannt und zugewandt. Vor laufender Kamera spricht er über die mennonitische Gemeinde Ost-Berlins. Das Interview ist 31 Jahre alt. Geführt hat es der Niederländer Fokke Fennema. Ins Mikrofon des Kirchenhistorikers Bernhard Thiessen sagt dieser wiederum im Jahr 2023, ihn habe die unmittelbare Nachwendezeit fasziniert, „weil die Geschichte noch so frisch war“. Thiessen hat den Faden aufgenommen, weil Fennemas Filmsequenzen, acht an der Zahl mit einer Gesamtlänge von sechs Stunden, unbearbeitet geblieben sind. Die historischen Momentaufnahmen waren drei Jahrzehnte lang unter Verschluss, die Geschichte der Mennoniten in der DDR blieb ohne Aufarbeitung. Bis jetzt.

Seine Dokumentation sei nur ein Aufschlag, betont Bernhard Thiessen. Er ist an diesem Abend nach Köpenick gekommen, um den 45-minütigen Film zu zeigen. Er porträtiert auch Knuth Hansen. Die evangelische Stadtkirchengemeinde war dessen letzte Dienststelle, als Gemeindemitglied hat Hansen ihr bis zu seinem Tod 2019 angehört. Das Publikum weiß aus der Ankündigung des Abends, worauf es sich einlässt: Ein ambivalentes Lebenskapitel des ehemaligen Gemeindepfarrers wird aufgeschlagen, das dem beliebten Seelsorger und freundlichen Menschen als Mitarbeiter der Staatssicherheit und des russischen Geheimdienstes KGB folgt, während der Jahre 1980 bis 1990, die Hansen Prediger der Mennonitengemeinde der DDR war. „Gemeinde unter Beobachtung“ heißt Thiessens Arbeit.

Im Interview ist Knuth Hansen 45 Jahre alt. Seine „guten Kontakte zum Staatssekretariat für Kirchenfragen“ und die damit verbundenen Privilegien räumt er ohne Umschweife ein. Es sei ihm ein Bedürfnis gewesen, sie zum Wohl der Gemeinde einzusetzen, um Reisevisa für den Vorstand zu erwirken oder junge mennonitische Männer vor der Einberufung zur NVA auszunehmen. Hansen selbst besitzt ein Dauervisum für Besuche im Westteil Berlins und einen VW, mit dem er mennonitische Familien auf dem gesamten DDR-Gebiet besucht. Später an diesem Abend relativiert Horst Krüger, ein Zeitgenosse im Publikum, der 45 Jahre lang als Mennonitenprediger erst haupt-, dann ehrenamtlich in West-Berlin wirkte: „Hansen sprach von Gemeindebesuchen, die niemals stattgefunden haben, und seine Sitzungsprotokolle waren inhaltsleer.“ Bernhard Thiessen geht darauf ein, indem er die Schriftführerin der DDR-Mennonitengemeinde zitiert, auch sie kommt im Film zu Wort: „Die Dienstanweisung war, schreib‘ nichts Wichtiges rein.“ Spekulativ bleibt, ob Knuth Hansen seine „Gemeinde unter Beobachtung“ schützen oder ob er selbst unverdächtig erscheinen will. In den Aufnahmen von 1992 erklärt er: „Meine Stasi-Akte interessiert mich nicht.“ Es wirkt, als habe er sich zu keinem Zeitpunkt von seiner christlichen Überzeugung abbringen lassen.

Hansen ist 22 Jahre alt, als er dem Theologen und MfS-Mitarbeiter Gerd Bambowsky begegnet, der ihn fördert und für das Studium empfiehlt. Beide gehen auch eine private Beziehung ein. Seine Homosexualität hält Hansen gleichwohl ein Leben lang geheim. Als IM Paul begleitet er Bambowsky Mitte der 1970er Jahre auf Reisen, bei denen Bibeln westlicher Missionsgesellschaften nach Osten, in die sowjetischen Bruderländer geschmuggelt werden. Die Historikerin Ann-Kathrin Reichardt, mit der Bernhard Thiessen zusammengearbeitet hat, kann belegen, „dass Bambowsky Dankesschreiben fingiert und beim Aufbau kleiner Druckereien mitgeholfen hat, um sie anschließend auffliegen zu lassen“. Was aus den Menschen dort wird, lassen die Akten unbeantwortet. Verbrieft ist, dass Hansen mittut, „denn das MfS baut ihn im Folgenden zum Einfluss IM auf, er soll einer Religionsgemeinschaft vorstehen und fromme Menschen ausspionieren“, so Reichardt.

Die Wahl fällt auf die Mennoniten. Hansen ist unierten Bekenntnisses, profitiert aber von der DDR-Ausnahmeregelung, wonach er in den Dienst einer weiteren christlichen Kirche treten kann. 1980 wird er im Mennoheim in Berlin-Friedrichshain vorgestellt. Gemeindevorsteher Walter Jantzen äußert Vorbehalte, weil der neue Prediger so gute Beziehungen zum Staat hat. Hansen versichert, die seien nötig, um uneingeschränkt wirken zu können. Die Ruhe, die er damals ausstrahlt, überzeugt auch Horst Krüger: „Wir spürten, das war vielleicht nicht so gut. Aber es war wichtiger, dass wir jemanden für die die Gemeinde der DDR hatten“, bilanziert er.

In Köpenick mischen sich Betroffenheit und Unverständnis, viele Gemeindemitglieder schmerzt das zweite Gesicht Pfarrers Hansens. „Der Vertrauensbruch ist entsetzlich“, äußert eine ältere Dame. „Die fehlende Einsicht in die eigene Schuld“, formuliert es Pfarrer Ralf Musold, sei für ihn schwer zu fassen, „sie widerspricht dem Prinzip christlicher Verantwortung und dem, woran wir glauben“. Der Film lasse erkennen, dass Hansen wusste, was er tat. „Unvorstellbar, was Diktatur mit Menschen macht.“
Justus Schwer, zur Zeit der Friedlichen Revolution Pfarrer in Baumschulenweg und von 1990 bis 1994 mit Knut Hansen im selben Pfarrkonvent, schildert, „dass die Kontaktaufnahme zur Stasi allein im Entscheiden der Einzelnen gelegen hat. Das Nein dazu durchzuhalten, war für alle Pfarrer einfach. Der Schutzraum der Kirche funktionierte sowohl für die Arbeit als auch für das persönliche Leben.“

Knuth Hansen hätte diese Erfahrung wohl geteilt, wäre sein Bekenntnis stärker im Fokus gestanden. So bleibt offen, ob ihn die Verstrickung in das System, an der Gerd Bambowsky wesentlichen Anteil hat, veranlasst, bei den Themen Vertrauen Kompromisse zu machen, oder ob ihn Privilegien locken. Einen Hinweis gibt ein Adlershofer Gemeindemitglied, ein Mann Mitte 80, der die Veranstaltung in der Stadtkirche Köpenick besucht aber, sichtlich betroffen, seinen Namen für sich behalten möchte. Er urteilt: „Der hielt sich für den Bischof der Mennoniten.“
Dass Hansens Einfluss nicht unerheblich war, könnte auch bewirkt haben, dass seine Stasi-Akte in den letzten Dezembertagen 1989 vernichtet wird, wie die Historikerin Reichardt herausfand: Befürchtete er, wie Gerd Bambowsky enttarnt zu werden und seine Bezüge zu verlieren? Im Gemeindebrief der Mennoniten vom April 1990 schreibt Knuth Hansen, er werde „ab sofort nicht mehr in den Westen fahren, weil man dort schlecht über mich spricht“. Einige Wochen später verlässt er die Gemeinschaft und wechselt in die evangelische Landeskirche Berlins zurück.

Bernhard Thiessen versichert, die Dokumentation wolle zur Erschließung der jüngsten Geschichte der Religionsgemeinschaft der Mennoniten beitragen, nicht moralisch verurteilen. Methodisch geht das auf, indem die Zeitzeugen selbst erzählen. Das Gesprochene bleibt unkommentiert. Das nimmt den Betrachter in die Pflicht, sich Gedanken zu machen. Vorm Hintergrund der jüngsten EKBO-Erklärung zur MfS-Tätigkeit des DDR-Gefängnisseelsorgers Eckart Giebeler, ist dem Film eine breites Publikum zu wünschen, das darüber reflektiert, wie man als Christ*in im Glauben und Handeln wahrhaftig bleibt.

INFOS: https://mennoniten-ddr.de/

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